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Mit Packpferd in der Franche Comté

 

 

Die Franche Comté: das ist das Gebiet des französischen Juras. Es sind die Departemente Doubs, Jura und Haute Saône, das Gebiet, das sich im Westen an die Schweizer Grenze anschliesst. Der französische Jura umfasst den Nationalpark des Haut Jura mit Blick auf die Alpen und den Genfersee, das Seengebiet mit dem zweitgrössten Stausee Frankreichs, und die Weinberge im Westen. Es hat ein gut ausgebautes Wanderweg- und sogar Reitwanderwegnetz, und vor allem hat es im Vergleich zur Schweiz noch sehr viel Platz, und sehr viel Natur...

  

Samstag

Start am Mittag. Wir müssen nicht allzu früh losfahren, die erste Etappe soll eher ein warmlaufen sein. Ich habe keine Ahnung, ob ich die Grenze in Vallorbe passieren kann, und bereite meinen Chauffeur darauf vor, dass er evt. bis nach Genf fahren muss. Max trägt es mit Fassung.

Doch wir  haben einen netten Zöllner. Ein Lehrling ist da, dem alles ganz genau erklärt und gezeigt werden muss, und dann sind wir durch. Ich höre noch, wie die junge Frau erklärt bekommt, dass wir nicht hätten passieren dürfen, wenn ich die Pferde nicht beim Zoll in Aarau vorgeführt und das Carnet ATA bereits eröffnet hätte. Der Aufwand am Tag zuvor hat sich also gelohnt.

Gleich nach der Grenze suchen wir uns eine Wegkreuzung im Feld, ich räume einen riesigen Berg Gepäckstücke aus dem Auto, und Max kann sich bereits wieder auf den Heimweg machen.

Ich sattle und packe. Mügi und ich schauen zusammen noch kurz die Karte an, und endlich geht’s los... das Wetter ist ideal, angenehm kühl, und ab und zu drückt die Sonne durch die Wolken. Die Pferd sind fleissig und motiviert, und Askja ist glücklich. 3 Woche Freiheit liegen vor uns: ich will der Schweizer Grenze entlang nach Süden reiten, dann kreuz und quer durch die verschiedenen Landschaften der Franche Comté, und dann wieder zur Grenze zurück.

Der Weg führt von Anfang an durch Wiesen und Weiden. Wir sind auf etwa 750m Höhe, aber bald schon steigen wir auf über 1460m, und wandern über die Krete des Mont d’Or. Prächtige Aussicht zu den Alpen und in den Waadtländer Jura, aber leider ist es zu dunstig, um gute Fotos zu erhalten.

Unter uns ein steiler Absturz, ähnlich dem Creux-du-Van, und dahinter der Waadtländer Jura.

Die Pferde geniessen das noch kurze Berggras. Die Zäune sind noch alle offen, beim Aufstieg begegnen wir ein paar Bauern, die die Weiden für’s Vieh vorbereiten. Askja findet auf einem Rastplatz ein Stück hartes Brot, bringt es mir ans Pferd und fragt begeistert, ob sie es haben dürfe... es sieht gut aus, und sie darf.

Ich habe heute noch nicht viel gegessen, und bei einem Bergrestaurant sehe ich, dass da Leute sind. Ja, die Küche ist offen – aber der Hof ist ringsum verbaut mit Stacheldraht. Den ersten Zaun öffne ich, aber wie ich sehe, das da bis zum vollen Teller noch zwei weitere zu öffnen sind, danke ich bestens, und ziehe weiter. Meine Finger werden in den nächsten Tagen noch genug verschrammt werden.

Aber nun stellt sich langsam die Frage: wo übernachten wir? Bald komme ich wieder an einen Hof, der offensichtlich eine Wirtschaft beherbergt. Ich sehe daneben einen Paddock zum Separieren des Viehs – genau so etwas brauche ich! Auf meine Frage bekomme ich zuerst eine Absage, aber als ich erwähne, dass wir alle draussen schlafen wollen, bin ich willkommen.

Also abladen, Pferde fesseln, Zelt aufstellen. Askja freundet sich mit den zwei Hofhunden an – unkastrierte Rüden natürlich, und entsprechend lästig. Ich bin nicht besondern scharf darauf, dass mir Gepäck  und Zelt markiert werden, deshalb bekommt Askja bald einmal Leinenarrest, nachdem der eine Herr sich genau da versäubert hat, wo ich eigentlich mein Zelt aufstellen wollte...

Die Pferde grasen inzwischen friedlich auf der benachbarten, riesigen Weide. Saftiges Gras, und es hat  bereits so viel, dass sie ohne weiteres satt werden können. Während ich das Zelt aufstelle, sehe ich, dass sich die zwei langsam zum Waldrand hin verschieben. Kein Problem, es sind Fribis... aber wie ich das nächste Mal aus dem Zelt krieche, sind sie verschwunden. Wie gesagt – es sind Fribis, die gehen nirgendwo hin, wo es nichts zu fressen gibt. Trotzdem gehe ich bald einmal zur Lichtung, auf der ich sie vermute. Aber – da sind keine Pferde... wie bitte? mit den Fesseln können sie nicht weit gekommen sein, also suche ich die grosse Wytweide kreuz und quer nach den beiden Braunen ab. Askja, such die Pferde! Suchen? super, suchen ist ein lustiges Spiel! Such’ Diala, such’ Mügi! Askja sucht den Boden intensivst nach den Leckerbissen Mügi und Diala ab, wird aber enttäuscht. Irgendwann wirkt das Zauberwort nicht mehr... habe ich da wohl irgend etwas in ihrer Ausbildung vergessen?

Nach einer Viertelstunde gefällt mir die Sache aber nicht mehr besonders. Ich gehe zurück, und fange selber an, nach Spuren zu suchen. Und siehe da: gefesselte Pferde hinterlassen ein Vielfaches an Hufabdrücken, als es galoppierende Pferde tun! Die zwei sind den Weg zurückgegangen, den wir gekommen sind. Dialas Hufspuren sind tief in den ansteigenden Weg eingedrückt, Mügis Spuren sind bedeutend flacher. Und endlich sehe ich sie: Mügi stapft fleissig mit winzigen Schrittchen voran, und Diala stampft pflichtbewusst hinter ihr her, um auf die Kleine aufzupassen – wenn auch offensichtlich ohne grosse Begeisterung...

Mügi wird nun gnadenlos am Bodenseil angebunden, bis ich mein Nachtessen aus dem Restaurant in der untergehenden Sonne genossen habe. Danach bekommen die zwei eine Ration Kraftfutter, und dürfen nun im Paddock weiter fressen. Beim Einschlafen höre ich noch das Mahlen der Zähne, und schlafe herrlich bis zum Morgen.

Erkenntnis des Tages: trau keinem Pferd! nicht einmal einem hungrigen Fribi.

 

Sonntag

Bis ich gefrühstückt und das Zelt zusammengepackt habe, dürfen die zwei wieder auf die grosse Weide – Mügi allerdings wieder nur am Bodenseil. Sie kommt recht gut damit zurecht, besser als bei früheren Versuchen, aber es wickelt sich doch zwei oder drei Mal um einen Hinterfuss. Sie bleibt schön ruhig, wartet gelassen, bis sie entfesselt wird. Ich frage mich, wie das in den Ländern vor sich geht, wo Pferde nur angebunden, aber unbeaufsichtigt auf die Weide dürfen – wie viele Pferde verunglücken wohl dabei?

Endlich sind beide Pferde bepackt, und es geht weiter.

Über riesige Weiden komme ich in die Ebene hinunter.

Ein kleiner Abstecher: hier ist die Quelle des Doubs. Das ist der noch recht natürlich gebliebene Grenzfluss zwischen Frankreich und der Schweiz. Ich staune, wieviel Wasser hier zu einem Loch im Felsen herausströmt. Ähnlich wie bei der Orbe versackt das Wasser in den duchlässigen Kalkfelsen des Jura (bei der Orbe ist es das Wasser des Lac de Joux), und sammelt sich in einem Höhlensystem zum unterirdischen Fluss.

Leider ist Sonntag – ich würde gerne den idyllischen Ort noch etwas geniessen, aber es hat mir einfach zu viele Leute, die am Ufer picknicken. Askja wartet auf die Gelegenheit, abzuschleichen und sich irgend ein Sandwich oder eine Wurst zu klauen, und ich muss sie jede Sekunde im Auge behalten.

So reite ich weiter. Eine Holzbrücke führt über einen Bach. Sie sieht zwar gut aus, aber wenn eine so schöne Furt daneben liegt, ist es klar, welchen Weg wir nehmen. Der Weg führt uns wieder in die Höhe: eigentlich will ich ja noch ein wenig die Aussicht auf die Alpen geniessen, bevor die tieferen Lagen des Juras durchreiten.

Je höher wir kommen, desto mehr Schnee liegt wieder auf den Wegen, aber wir kommen gut voran.

Das Strässchen ist jedoch geteert, und irgendwann wähle ich einen Naturweg als Alternative. Allerdings sieht dieser nur ganz am Anfang gut aus: je weiter wir kommen, desto tiefer wird der Weg. Er ist völlig zerfahren von den schweren Geräten der Holzernte, und bald klettern wir nur noch von einer Seite des Weges zu andern, um den tiefsten Sumpfstellen auszuweichen. Ich habe keine Lust, hier ein Eisen zu versenken... so geht es einige Kilometer, bis ich endgültig genug habe. Ich verlasse den Weg, klettere den Hang hoch, und schlage mich durch den Wald in die Richtung zum alten Teersträsschen durch. Ich stosse sogar auf einen ganz anständigen, alten Weg, der in der Karte nicht verzeichnet ist, und bin nach etwa einer Stunde einen guten Kilometer weiter, als ich vor dem Abstecher war... aber immerhin habe ich noch alle acht Eisen.  

Es wird langsam Zeit, ein Quartier zu suchen. Es fängt an zu regnen, und ich bin immer noch auf über 1000 Meter über Meer, es hat nur wenig Gras. Ich komme zu einem Gîte equestre, einer Reiterherberge: aber leider gibt es keinen Platz für uns. Der Mann hat grade seine Weiden gedüngt, und es gibt auch kein Dach für die Pferde, nur ein paar Anbinderinge an der Hausmauer. Heu hat er sowieso keines, geschweige denn Stroh. Also geht’s noch etwa fünf Kilometer weiter. Der Regen hat aufgehört, und ich komme zu einem Gîte für Wanderer.

Nachdem mir die nette Dame den Schlafraum und die Küche gezeigt hat, findet sie heraus, dass sie mir keine Weide anbieten kann... es gibt zwar ein grosses Grundstück, das ich mit meinen 40m Zaundraht einzäunen könnte, aber da ist noch kaum ein grüner Halm zu sehen. Also weiter... Endlich rückt sie heraus, dass im gleichen Dorf noch ein Bauer auch Gästezimmer hat. Futterneid? oder warum konnte sie das nicht gleich sagen? Für den Ärger hat Askja inzwischen den Napf des Hofhundes leergefressen.

Frisch gestärkt wandern wir also den hoffentlich letzten Kilometer zu dem Bauern, und tatsächlich dürfen wir seine Weide benützen. Zwar sind seine Zimmer nicht bereit – es ist noch absolut tote Zwischensaison – aber gleich gegenüber ist nochmals ein Gîte. Aber auch da sind wir nicht willkommen: erstens seien die Zimmer noch nicht gemacht, und zweitens wollen sie sowieso keine Hunde. Nun ist es klar: die Pferde haben eine gute Weide, also bleiben wir da, und ich stelle mein Zelt auf. Ich bin froh, dass ich die Sättel und das gesamte Gepäck im Trockenen lagern kann; die 600g Differenz zum kleineren Zelt, das ich früher hatte, lohnen sich, mitgeschleppt zu werden. 

Die Pferde bekommen zum ersten Mal ihre Regendecken aufgelegt. Mitten in der Nacht rauscht es vom Himmel, und als ich hinausschaue, ist alles weiss. Graupel. Die zwei Stuten stehen zwar mit gesenktem Kopf unter einer Tanne, aber bald darauf höre ich wieder das vertraute Mahlen neben dem Zelt.

Erkenntnis des Tages: querfeldein kann wesentlich besser sein als mancher Weg.

 

Montag

Ich folge dem Wanderweg, nicht dem Strässchen – ein Fehler. Ein Stacheldraht nach dem andern ist zu öffnen, weil die Durchgänge für Wanderer nicht durchgängig für Pferde sind, und ich die Zäune abbauen muss. Für die ersten zwei Kilometer brauche ich etwa eine Stunde. Danach geht es aber durch angenehmes Gelände, und die Sonne scheint... 

 

Knallblau zeigen sich die Seen, die an meinem Weg liegen, und ich höre die ersten Nachtigallen. Eine liebliche Landschaft. Aber es ist Zeit, wieder etwas Höhe zu gewinnen. Wir kommen in ein Gebiet, wo im Winter Loipen gepflegt wurden, und viele Wege sind noch mit Schnee bedeckt.

Allerdings ist er nie so tief, dass es anstrengend für die Pferde wird. Gleich daneben blüht schon der Seidelbast.

Mein Ziel ist heute ein Reitstall. 50m davon entfernt ein Hotel, so dass wir heute alle gut untergebracht sein werden! Allerdings gibt es nur Ständer, sodass ich die Alternative, eine Weide und viel Heu und Kraftfutter, gerne annehme. 

Das Hotel jedoch will uns nicht – striktes Hundeverbot, ich darf mit Hund nicht einmal einen Kaffee trinken. So breite ich mein Lager auf der staubigen Tribüne der Reithalle aus. Ich überlege mir, ob ich beim Einnachten nicht hinter den Hügel auf den Golfplatz schleichen und mein Zelt dort aufstellen soll... aber als es soweit ist, kommt ein leichter Sturm auf, der in Regen übergeht, und ich bleibe, wo ich bin.

Am Morgen überwinde ich meine Sturheit und gehe ohne Hund zum Hotel, um einen Kaffee zu trinken – geschlossen. Zum Glück konnte ich gestern noch einkaufen, so dass ich zu meinen Müesli-Flocken wenigstens Kaffee-Joghurt zum Frühstück habe. Man wird bescheiden... die Stallbesitzerin hat anscheinend Mitleid mit mir, und sie schenkt mir die Übernachtung mitsamt dem reichlichen Futter. Bisher habe ich für unsere Unterkünfte noch keinen einzigen Euro bezahlen müssen.

Erkenntnis des Tages: eine Herberge ist nicht immer eine Unterkunft.

 

Dienstag

Ich muss das ganze Dorf durchqueren, und Askja entgleist mir langsam aber sicher. Wo Menschen  sind, hört sie einen Dreck auf mich, und geht die Leute freudestrahlend begrüssen. Zum Glück hat niemand Angst, und die meisten Leute freuen sich.... immerhin geht es mit dem Verkehr gut, sie bricht mir nie im falschen Moment aus, und wir kommen gut durch die Strassen.

An einem alten Fort vorbei, geht es abwärts zu einem Bach. Diala lässt sich wieder einmal ziehen, also lasse ich sie frei. Brav trottet sie in dreissig Meter Abstand hinterher – letztendlich im gleichen Tempo wie Mügi und ich.

Am Bach unten eine Brücke, die nicht sehr vertrauenserweckend aussieht, aber daneben ist eine einfach zu bewältigende Furt.

Wir kommen wieder auf die Höhe, und ich fühle mich in die Freiberge versetzt, wie sie bei uns vor dreissig Jahren ausgesehen haben:

endlose Weiden, Graswege, kein Asphalt oder Beton, und keine Leute...

und alles in dem unendlich leuchtenden frischen Frühlingsgrün.

Inzwischen hat das Wetter umgeschlagen. Man muss da fressen, wo es Gras gibt: Rast im strömenden Regen.

Obwohl es regnet, haben wir heute richtig Probleme, Wasser zu finden. Endlose Weiden, und keine Brunnen? da waren aber unsere Jurassier fleissiger und haben  unzählige Zisternen gebaut... Endlich ein Wassertrog, der voll ist, und die Pferde können trinken. Aber ich verzichte gerne, obwohl auch meine Wasserfläschchen längst leer sind. Dass ich unterwegs noch rezenten Käse gegessen habe, ist im Moment auch nicht wirklich hilfreich...

Erst am Abend finden wir eine Quelle, die gefasst ist. Und daneben eine kleine Ecke saftiges Gras. ich lasse die Pferde fressen, und überlege, wo ich wohl übernachten sollte. Vor mir liegt eine kleine Stadt, die auf der Karte sehr eng aussieht, und die ich gerne in den verkehrsarmen Abendstunden durchqueren möchte. Ein paar Kinder unterhalten sich mit mir und meinen Pferden, und laden mich ein, die Töpferei ihrer Eltern zu besichtigen. Aber nein, ich will noch weiter... der Weg führt in ein Tälchen, und nach zwei, drei Kilometern - ist ein Hangrutsch. Ich binde die Pferde an, und und besichtige die Situation. Kein Problem, der Rest des Weges ist griffig, und die Pferde werden problemlos da hindurch gehen. Das tun sie auch – aber hundert Meter weiter ist der Weg nochmals abgerutscht, und ist mit einem engen Geländer für Fussgänger gesichert. Ich habe keine Chance, da hindurchzukommen, und schon gar nicht mit Gepäck.

Also umkehren. Die einzige Alternative zu dem Weg ist eine endlose Teerstrasse ins Tal hinab. Dazu habe ich keine Lust mehr, und ich habe auf dem Weg hierher einen kleinen Steinbruch gesehen, der zum Übernachten ideal wäre. Also lasse ich die Pferde am Wegrand grasen, bis es eindunkelt, und gehe dann in den Steinbruch.

Kein Mensch ist mir in der letzten Stunde begegnet – aber kaum habe ich abgesattelt, kommt ein Bauer vorbei, der zu seinem Vieh im Tal hinten schauen will... rasch gehe ich dem Auto entgegen und frage ihn, ob er der Eigentümer dieses Steinbruchs sei. Er lacht: ob ich da übernachten wolle? ähm, ja... aber er meint, ich solle mir keine Sorgen machen, hier störe ich bestimmt niemanden!

Beruhigt richte ich den Zaun ein, und klaue den Strom dafür von der benachbarten Viehweide. Hinten ist ein Abhang, etwa 70° steil und 4 Meter hoch. Da werden die Pferde ganz sicher nicht hinaufgehen, und auf zwei Seiten ist ein Elektrozaun. Also muss ich nur vorne verschliessen, und die Pferde haben so ein ganz passables Weidlein. 

Aber ein Gedanke schleicht sich ein, und geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Kürzlich hat mir ein erfahrener Wanderrittführer erzählt, dass er immer die Hälfte der Pferde anbinde, egal wie gut die Einzäunung sei. Ich bin schon im Schlafsack, aber ich stehe noch einmal auf, und binde Mügi an den kleinen Baum in der Mitte der Grube. Ich komme mir sehr, sehr mies vor dabei... irgendwann nachts wird dann gewechselt, und Diala muss stehen bleiben. Am Morgen frage ich mich, ob das wirklich nötig war, oder ob ich mich wieder einmal in etwas hineingesteigert habe...

Kaum haben die beiden ihr Kraftfutter verputzt, ziehen vom Dorf her die Kühe auf die Weide. und mittendrin ein brauner Esel. Mügi ist hell begeistert, und erklimmt so mühelos wie eine Gemse den Steilhang im hintern Teil der Grube (links im Bild), um Eselchen zu begrüssen... und Diala ebenso mühelos hinterher.... hätten sie das nachts gemacht, hätte ich am Morgen alt ausgesehen, denn da oben ist ken Zaun mehr!

Erkenntnis des Tages: hör auf deinen Bauch!

 

Mittwoch

Die Strasse ins Tal hinunter ist wirklich endlos. Wir kommen noch einmal an der Quelle vorbei, um zu tränken und die Flaschen aufzufüllen. Und da sehe ich, dass unter dem Schild der Töpferei auch das Zeichen für Gîte hängt... man kann sich auch Mühe geben, die Winke des Schicksals nicht zu verstehen! Es wäre doch so schön gewesen, wieder einmal frisch geduscht in einem Bett zu liegen und die Pferde gut versorgt zu wissen...

Heute gibt es eine Fresspause, sobald wir eine Ecke mit gutem Gras finden. Die meisten der wenigen  Autofahrer, die vorbeikommen, halten kurz an, um die Pferde zu betrachten. Wir fallen auf, und ich bekomme auf diesem Ritt viele Komplimente für meine schönen Pferde. Ein alter Bauer steigt aus, fragt mich wie üblich aus, und fängt an, von seinen Pferden und Kühen zu erzählen, von seinem Hof und seiner Familie...

So langsam sollte ich aber doch weiter gehen. Ich schaffe es, genau in die Rush Hour des Städchens zu geraten.

St. Claude hat genau zwei Strassen, eine Schnellstrasse, eine Eisenbahn, und einen Bach. Mehr Platz ist nicht in dem engen Tal. Beklemmend eng zusammengebaute, hohe Wohnblocks. Wie kann man hier wohnen und glücklich sein...?

Und ich muss da auf der ganzen Länge durch... ich versuche, den Verkehrsstrom nicht allzu sehr zu blockieren: wir marschieren ein paar Dutzend Meter, bis ich in einer Parklücke die Kolonne vorbeifahren lassen kann, und dann wieder eine Lücke in der Blechlawine ausnützen kann. Für die Bewohner sind wir natürlich eine Sensation. Vermutlich kommen nicht jeden Tag Pferde in die Stadt, und schon gar nicht so schwer bepackt! das lässt Abenteuer vermuten... sobald ich anhalte, kommen verschiedene Leute, um mich auszufragen. Kaum habe ich Platz, um mit dem Schuh unsere Spuren zu beseitigen... denn Mügi ist ein wenig aufgeregt: Stadtverkehr hat sie noch nie erlebt, und sie verschafft sich alle paar Minuten vor den Geschäften und auf dem Trottoir Erleichterung. Immerhin steht sie schön ruhig, und wir beschädigen weder Autos noch Passanten.

Ich weiss nicht, wie lange wir für die Passage der Stadt gebraucht haben, jedenfalls erscheint mir die Strasse endlos. Endlich kommt der Wegweiser, der uns zur Brücke führt, und drüben habe ich einen Moment Zeit, um die Karte anzuschauen. Links, und dann halbrechts hoch. Nochmals kurz tränken, und dann finde ich die Abzweigung: eine lange, schmale Treppe zwischen den Häusern hindurch. Egal, inzwischen will ich nur noch aus dieser Stadt hinaus. Diala kennt Treppen, und aufwärts sind sie sowieso nie ein Problem. Also vorwärts – Mügi kommt ohne zu zögern mit. Wo Tante Diala hingeht, ist der Weg gut.

Der Weg führt uns weiter, über den nächsten Hügelzug und wieder hinunter ins Tal. Diala darf wieder frei laufen. In der Talsenke angekommen, will ich aufsteigen, und platziere sie wie üblich neben einem Stein. Aber hoppla: in dem Moment, in dem ich den Fuss in den Steigbügel stellen will, geht dieser nach unten... der ganze Sattel geht nach unten.... was ist los, fällt mein Pferd um, oder was? ich schaue mir die Sache unter dem Gepäck genauer an und bemerke, dass der Sattel beim bergab gehen nach vorne gerutscht ist und nun auf Dialas Hals liegt... lachend erinnere ich mich daran, dass ich so schon einmal über den Hals abgestiegen bin, als ich eine Böschung hinunter geritten bin.

Wir reiten weiter durch einen Wald, der offensichtlich einmal eine Weide war. Eine Ruine nach der andern säumt den Weg. Nachtigallen trillern um die Wette: ich höre mindestens vier gleichzeitig.

Auf der Höhe plötzlich eine Art Auenwäldchen, Sumpfboden, und hier finden wir endlich Wasser – eine Zisterne, die neben dem Weg steht. Ein Türchen ist offen, und ich kann meine Flasche mit dem glasklaren Wasser füllen. Vorher leuchte ich das Becken allerdings noch mit der Taschenlampe aus: es ist uns auch schon passiert, dass dabei eine tote Maus sichtbar wurde. Nun habe ich wenigstens Wasser zum Abkochen, für den Fall, dass ich heute kein Trinkwasser mehr finde.

Wunderschöne Jersey-Kühe begleiten uns durch die nächste Weide.

Ein Hof, der Bauernhofprodukte ausgeschrieben hat. Die würden wohl auch unsere paar Euros für die Nacht nehmen... nur, es ist noch etwas zu früh, um ein Nachtlager zu suchen. Im Tal unten soll ein Restaurant sein, in dem ich mich verpflegen kann, und daneben kann ich auf den Zeltplatz übernachten. Jedoch: das Restaurant ist geschlossen, auf dem angeblichen Zeltplatz ist Campingverbot, und es regnet. Also weiter.

Ich komme in ein Dorf, wo es endlich auch Wasser für die Pferde gibt. Die meisten Dörfer haben gar keinen laufenden Brunnen, und hier gibt es gleich drei... ich kann einkaufen, und Askja bekommt eine schöne fette Wurst. Sie hat abgenommen, anscheinend habe ich ihren Energiebedarf unterschätzt. Ich stelle mich auf eine Nacht in der Wildnis ein, also müssen auch die Pferde etwas bekommen. Haferflocken gibt es hier nicht, also kaufe ich zwei Pack Ebly, und ich bekomme Joghurt, Käse und Wasser. Danach auf zur letzten Etappe. Auf der Karte ist ein Gîte eingezeichnet; das ist unser Ziel.

Die Bäuerin ist gerade am Melken; sie wirkt etwas verduzt, als ich sie um ein Nachtlager bitte. Die Mutter klärt mich auf: sie machen schon lange keinen Gîte mehr... nun, die Pferde könnten ja schon auf die Weide, aber der Hund? ins Haus darf der auf keinen Fall! ok, mich gibt’s nur mit Hund. Also geht’s doch noch ein Stück weiter. Die alte Bäuerin hat aber Erbarmen: der Hund darf doch hinein, wenn er brav ist.

Die Pferde werden am Bagger angebunden und dösen, bis sie Zeit hat, eine Weide abzuzäunen, und so bekomme ich zum ersten Mal wieder ein schönes, weiches Bett,eine warme Dusche, und kann mir so richtig den Bauch vollschlagen...

Erkenntnis des Tages: der Sattel sollte auf dem Rücken sein, wenn man aufsteigen will.

 

Donnerstag

Nachts setzt ein ergiebiger Landregen ein, und ich muss im Regen satteln. Das habe ich mir doch die ganze Zeit gewünscht – brrr... Ich habe mir die Sättel inzwischen so eingerichtet, dass der eine Regenponcho Mügis Gepäck vollständig abdeckt, und ich den andern bei Diala über den Sattel ziehen kann, wenn ich laufe. Ich hasse nasse Sättel. Selber trage ich einen weit geschnittenen Regenmantel, der mir nachts auch als Schlafdecke dient. Das Stück wäre genial, wenn es denn auch wasserdicht wäre... aber für diese kurze Zeit reicht es aus.

So marschieren wir los, und wie gewünscht hört der Regen bald einmal auf. An einem wunderschönen Seelein vorbei, kommen wir auf guten Wegen rasch voran.

Ein steiler Abstieg zu einem Bach: Diala ist nicht begeistert, sie hasst abwärts, und muss hier sogar ein kleines Stück abwärts rutschen.

Unten ein romantisches Bächlein – mit einer Gitterbrücke. Nur nichts anmerken lassen – Diala geht sowieso überall durch,  und Mügi merkt nicht einmal, dass hier etwas Besonderes sein sollte. Ohne zu zögern klappert sie hinterher, und klettert auch brav über Baumstämme.

Nach einer Weile kommen wir ans Ufer der Bienne.

Ein Fluss mit glasklarem Wasser, und ein wunderschöner, wilder Auenwald.

Aber der Weg führt immer näher ans steile Ufer heran.

Als ich anhalte, um die nächsten paar Meter einzuschätzen, übernimmt Diala die Führung und wendet... natürlich darf sie das nicht, aber nachdem ich abgestiegen bin und das nächste Stück zu Fuss erkundet habe, muss ich ihr Recht geben. Der Weg ist zu schmal und zu steil – mit Diala kein Problem, aber Mügi wird mit der Packung nicht zwischen den Bäumen hindurchkommen. Während ich zu den Pferden zurückgehe, geht Askja baden, und kommt nicht mehr aus dem Fluss.

Ich muss das steile Ufer hinabklettern und sie heraufziehen, und schauen dass sie mich in ihrer Begeisterung nicht auch hinab schubst... nun ist der letzte Zweifel beseitigt: mit den Pferden könnte ich das nicht tun. Also umkehren.

Ich reite durch eine Geisterstadt. Wohnhäuser, Gärten, Läden, ein Spielplatz: aber kein Mensch, und kein einziges Auto. Offenbar wird hier nur geschlafen, nicht gelebt, ein ungewohntes Bild für uns.

Ein letzter, steiler Aufstieg, und dann kommen wir an unserem heutigen Ziel an. Ein Gîte equestre, bei dem ich mir wieder richtiges Futter erhoffe. Und tatsächlich: es hat Platz, ich bin der erste Gast in diesem Jahr. Die Pferde bekommen Boxen und viel, viel Heu und Kraftfutter – ich einen kleinen Schlafsaal für mich alleine, und ein feines Abendessen. Ich bin froh, hier zu sein, denn der Wetterbericht ist nicht gut. Und tatsächlich, in der Nacht setzt Regen ein. Ein gutes Gefühl, die Pferde im Trockenen zu wissen...

Erkenntnis des Tages: man kann kein Pferd aus dem Fluss ziehen.

 

Freitag

Es regnet.

Gleichmässiger Landregen, der wohl den ganzen Tag anhalten wird. Ich beschliesse, einen Ruhetag einzulegen – das heisst, einen Tag ohne Gepäck.

Mügi hat immer am Abend diverse Schwellungen, die jedoch nicht schmerzhaft sind, und am Morgen vollständig verschwunden sind. Also Ödeme, keine Drücke. Aber an den unmöglichsten Stellen: gestern sogar von den Fendern, die weiter hinten hingen als sonst (ich hatte ausnahmsweise die Steigbügel nicht hochgebunden), und von den Seitentaschen gegen den Rumpf gedrückt wurden. Ein Sensibelchen. Aber es würde ihr gut tun, einmal einen Tag ohne die 20 kg Gepäck zu gehen.

Warum ich so viel Zeug mitschleppe?

Mügi trägt: das Zelt (2.8kg), die 2 Regendecken (je 850g), 8 Ersatzeisen und Nägel (2kg), Beschlagzeug (1kg), das Zaungerät (2.8kg), die Karten, Medikamente und Verbandzeug, Hundefutter für 1-5 Tage (max. 2kg), Pferdefutter für einen Tag (2-4 kg), Flickzeug und Seil, Taschenlampe, Leuchtgamaschen, einen Poncho, und meine Windjacke.

Diala trägt: Schlafsack und Isomatte, die Grenzpapiere, Kleider (1.5kg), Esswaren, Wasserflasche, die Hundeschuhe, Kartentasche, Regenmantel, sowie die Elektronik (Kameras, Ladegeräte, Batterien, Handy, GPS). Hätte ich meine Unterkünfte fest gebucht, würden ihre zwei Seitentaschen und die Vordertaschen längstens ausreichen, auch für 3 Wochen. Aber die Tatsache, dass ich ein Packpferd habe, erlaubt mir, wesentlich flexibler unterwegs zu sein, und auch bei jedem Wetter im Freien übernachten zu können. Ich mag es nicht, wenn sich die Pferde am Morgen zuerst trocken zittern müssen.

Ich habe es nicht eilig, irgendwann am Nachmittag wir der Regen wohl etwas nachlassen. Also zeichne ich am Morgen meine weitere Route ein, und reite erst am Mittag los.

Ziel ist ein kleiner See, „petit Canada“ wie es mein Gastgeber nennt. Und tatsächlich: man ahnt, wie schön die Stelle bei gutem Wetter sein könnte. Weisse Narzissen sind in voller Blüte, dahinter der dunkle Wald und eine mächtige Felswand. Ich reite an dem See vorbei in die Höhe. Zuerst ein leichter Aufstieg, mit einem Baumstamm versperrt, den ich aber nach oben umgehen kann.

Dann wird’s richtig steil; aber ich möchte gerne auf die Hochebene hinauf.

 

Diala geht ihr Tempo: einige Schritte aufwärts, dann verschnaufen. Sie macht das perfekt, ohne sich zu überanstrengen, aber auch ohne dass ich sie treiben muss. Feines Pferd.

Oben öffent sich eine weite Ebene, und in der Mitte steht ein Obelisk: das Denkmal der Maquis, des französischen Widerstands.

Offenbar haben hier 1944 Kämpfe stattgefunden, und die Bevölkerung hat kanadischen Fallschirmspringern geholfen, der Gefangennahme zu entgehen. Der Anblick ist berührend, irgendwie fühle ich mich dem französischen Widerstand verbunden. Mein Onkel besitzt noch eine Urkunde der Stadt Paris, die darin meinem Grossvater dankt, dass er im Krieg immer wieder Medikamente in das besetzte Paris geschmuggelt hat.

Der Regen lässt endlich nach, und ich kehre langsam zum Stall zurück.

 Erkenntnis des Tages: Regen ist nass...

 

Samstag

Strahlend schönes Wetter, hochmotiviert marschieren wir vom Hof weg. Zuerst geht es eine Weile der Hauptstrasse entlang, aber was in Frankreich eine Hauptstrasse ist, wäre bei uns eine harmlose Nebenstrasse. Ein paar wenige Töfffahrer, aber man sieht uns von weitem, und so ist keine Gefahr. Die Autofahrer sind in dieser Gegend ausnahmslos sehr rücksichtsvoll.

Wir gewinnen Höhe, und irgendwo hier muss der Weg rechts weg gehen. Ich finde die Abzweigung, aber der Weg geht mir etwas zu weit nach rechts. Und er wird immer steiler. Die französischen Karten sind nicht schlecht, aber es gibt viele Wege, die nicht eingezeichnet sind. Auf dem GPS habe ich hier keine Karte mehr, sodass ich mich nur anhand der gerittenen Linie und der Himmelsrichtung orientieren kann. Ziemlich bald ist mir klar, dass der Weg falsch ist, die Richtung stimmt nicht mehr. Aber ich habe bereits so viel Höhe gemacht, dass ich nicht wieder hinab will, und bald muss der GR (der Fernwanderweg, chemin de grande randonnée) von rechts herein kommen – das stimmt. So mache ich halt einen kleinen Umweg, was soll’s, wir haben Zeit...

Es geht auf der Krete nach Süden, und bald kommt die Abzweigung, die mich wieder auf den richtigen Weg führt. Allerdings ist da ein klitzekleines  Hindernis: eine steile Felsstufe, die für meine Pferde ohne Risiko nicht machbar ist. Diala wird es vielleicht noch schaffen, sie wird hinab klettern; aber Mügi wird hinunterspringen und dann auf dem Fels weiterrutschen. Das lohnt sich nicht... so mache ich halt einen weiten Umweg nach Westen. Es gibt einige zusätzliche Höhenmeter, da ich ziemlich weit ins Tal hinabsteigen muss, aber dank der grösseren Distanz ist der Weg eher flacher als der ursprünglich geplante Weg. Diala dürfte nach dem steilen Aufstieg darüber nicht unglücklich sein...

Bald treffen wir wieder auf unsere Route. Nach den bisherigen eher trüben Tagen geniesse ich das intensive Licht, die Fülle der tausend verschiedenen Grüntöne, in vollen Zügen.

Leider ist Samstag, es hat relativ viele Autofahrer auf dem Weg in die Natur. So verzichte ich auf den Abstecher zu einem Badesee, und schaue, dass ich möglichst bald über die Autobahn hinüber komme, die nach Oyonnax führt. Es geht erstaunlich gut; ich komme durch ein verträumtes Dorf mit sehr wenig Verkehr. Auch die Autobahn ist leer; währenddem ich sie überquere, sehe ich unter mir ein einziges Auto.

Langsam ist es Zeit, wieder eine Unterkunft zu finden. Durch den Umweg bin ich spät dran, und ich muss noch über einen Hügelzug ins nächste Dorf. Auf der Höhe erlebe ich eben noch den Sonnenuntergang, und bis ich wieder unten bin, dämmert es langsam. Bis ich beim Reitstall bin – falls  ich den überhaupt finde – wird es dunkel sein und kein Mensch mehr dort...also suche ich erst einmal eine Wiese, wo sich die Pferde wenigstens noch den Bauch vollschlagen können. Ich finde eine Weide, wo die Kühe schon waren, wo aber noch genug Gras für uns ist. Leider bin ich etwas nahe bei einem Bauernhof. Fragen kann ich nicht, es ist niemand da. Also verziehe ich mich hinter eine Hecke, lade ab, und zäune die Pferde so ein, dass sie vom Weg aus nicht gesehen werden können. Es geht ja nicht nur darum, dass uns der Bauer nicht sieht, sondern ich möchte am Samstag Abend auch nicht unbedingt von irgendwelchen Betrunkenen entdeckt werden....

Im Dorf unten ist ein Technokonzert, und der penetrante Bass überdeckt ein wenig Dialas weit herum hörbares Schnauben. Wie es fast dunkel ist, stelle ich das Zelt auf, und decke die Pferde ein. Obwohl ich nicht mit Regen rechne, schützt sie die Decke gegen Stechviecher, die hier unten schon wieder recht aktiv sind. Noch zweimal verstelle ich den Zaun, damit die Pferde genug zu fressen haben, und um ein Uhr hört endlich auch der Lärm auf. Nächstes Mal werde ich eine bessere Band bestellen...

 Erkenntnis des Tages: Alle wollen zurück zur Natur. Aber niemand zu Fuss.

Sonntag

Ich bin früh aus den Federn, denn ich will ja nicht noch vom Bauern entdeckt werden.

Bis ich alles gepackt habe, können die Pferde noch eine weitere Parzelle abfressen, und dann geht’s in der Morgensonne weiter. Ich habe Glück, die Bäckerei ist offen, und es gibt ein üppiges Frühstück. Mügi scheint Muskelkater zu haben, sie ist etwas faul heute. Wir kommen an einem kleinen See vorbei, und dann geht’s mehr oder weniger eben in Richtung zum nächsten, grösseren Stausee.

Fresspause – aber Mügi frisst nicht? das ist ungewöhnlich. Habe ich sie etwa zu sehr angetrieben? Ja, ich wollte etwas Tempo machen in dem einfachen Gelände, ein fleissiger Schritt... Ich krame das Fieberthermometer hervor: 39°. Oha, das ist nicht gut... aber vielleicht ist sie einfach noch erhitzt vom gehen. Ich suche einen Platz, wo richtig gutes Gras ist, und mache eine Stunde Pause.  Diala schlägt sich den Bauch voll, Mügi rupft auch immer wieder ein paar Grasspitzen. Ich messe wieder: 39.5°.

Hoppla, jetzt gefällt es mir aber wirklich nicht mehr, die Temperatur hätte sinken müssen. Mügi bekommt eine Antibiotika-Paste. Es hilft nichts, für heute Nacht willl ich einen Stall finden, und bis dahin muss sie noch laufen.

Aber wir haben riesiges Glück: wir müssen nicht mehr über die Höhe, sondern auf der einen Seite des Stausees ist die Strasse gesperrt.

So können wir ganz gemütlich und völlig eben ins nächste Dorf spazieren.

Doch leider ist dies ein Touristenort. Es gibt zwar einen Zeltplatz, aber keine Bauern, keine Pferde, kein Vieh. In der Hälfte des Sees ist die Temperatur auf 40.4°, und im Dorf vorne 40.5°. Bis zum nächsten Reitstall sind es noch 10km und ein Hügelzug, und ich weiss nicht, ob vorher ein Bauer mit uns Mitleid haben wird... abgesehen davon, wer würde sich schon freuen, wenn ihm ein Pferd mit so hohem Fieber in den Stall gestellt wird? ich nicht... 

Ich finde ein diskretes Wieslein, und führe die Pferde hinein. Mügi bekommt noch einmal eine Paste, und ich sattle ab. Zwei Stunden Pause. Danach ist die Temperatur immer noch auf 40.5° - immerhin nicht mehr weitergestiegen, aber auch nicht gesunken. Mügi frisst wenig, liegt die meiste Zeit. Langsam ist der Fall klar: abbrechen, heimfahren. Bei dem Zustand bringt es nichts, zwei oder drei Tage Pause einzulegen, sondern das ist eine Störung, die genügend Zeit zur Erholung verlangt. Und vor allem würde ich gerne wissen, was los ist: ist es wieder die alte Druse, die erneut aufflammt, ist es ein akuter viraler Infekt, oder hat sie sich von den Dutzenden von Zecken, die ich in den letzten Tagen abgelesen habe, einen Blutparasiten eingefangen?

Ich versuche, meinen Chauffeur anzurufen. Weder er noch seine Frau nehmen ab, weder zuhause, noch auf dem Natel, noch sind sie bei den Nachbarn... Auch mein Bruder, der den zweiten Transporterschlüssel hat, ist nicht zuhause. Ringsum verstreichen die Föhnwolken, und Gewitterwolken beginnen sich aufzutürmen. Ich möchte nicht, dass Mügi nun auch noch verregnet wird... ich telefoniere und telefoniere, aber erst nach sieben erreiche ich endlich meinen Bruder. Er ist nicht begeistert von meinem Anliegen, denn er muss um fünf Uhr früh seine Frau zum Zug bringen, und es ist gar nicht sicher, dass wir bis dann zuhause sein werden. Aber eine Stunde später ruft er wieder an. Ich habe sonst immer noch niemanden erreicht, aber er hat inzwischen organsiert, dass meine Schwägerin sicher zum Bahnhof kommt, und fährt los. 

Mügi liegt immer noch die meiste Zeit, und Diala geht langsam aber sicher die nicht vorhandenen Wände hoch.

Sie wird von Pferdelausfliegen geplagt, sie wirft sich eins ums andere Mal zu Boden, wälzt, kratzt, findet sogar heraus, wie man sich im Hundesitz das Euter am Boden schubbern kann. Sie tut mir leid; die Decke bringt nur wenig Schutz, und für jede Lausfliege, die ich knacke, scheinen drei neue zu kommen. Erst mit der Dunkelheit und der damit verbundenen Abkühlung kehrt langsam Ruhe ein. Mügi regt sich nicht mehr...

 

Wie ich den Anruf bekomme, dass mein Bruder in Genf am Zoll ist, fängt es an zu regnen. Hätte das nicht noch eine Stunde warten können... Aber endlich, um ein Uhr, tauchen am andern Ende des Tals Scheinwerfer auf, und er ruft mich an, dass er im Anflug sei. Rasch sind die Pferde eingeladen, das Gepäck verstaut, und dann geht es

n a c h  H a u s e ! ! !

Wir kommen problemlos über den Zoll.

Eine Blutprobe zeigt, dass Mügis Leukozyten (die Abwehrzellen im Blut) völlig verbraucht sind, aber ich kann noch nicht unterscheiden, warum. Nach zwei Tagen ist das Fieber vorbei, die Blutwerte erholen sich langsam, und Mügi geht es wieder besser. Aber vor allem: die Zeckeninfektion war’s nicht, zum Glück! und auch nicht die alte Druse. Der Verlauf zeigt, dass es eine einfache Virusinfektion gewesen sein muss, und nach einer Woche schläft Mügi auch nicht mehr öfter, als sonst auch. So kann ich mich doch darauf freuen, dass Mügi im Sommer wieder mitkommen wird...

Erkenntnis der Tages: Vorfreude ist auch eine schöne Freude! solange man nichts Besseres hat...                                                                                                                                          

Nachtrag: und es war halt doch die Babesiose, ein durch Zecken übertragener Blutparasit. Ich habe leider zu früh getestet (als das Blut noch nicht positiv war) und nicht nachgetestet, so dass uns diese Krankheit in der Folge über ein Jahr beschäftigt hat.

 

 

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